Oktober 2017

Das Schwere ist des Leichten Wurzel
Machbarkeitsstudie zum Kinderhaus der Rudolf Steiner Schule in Nürnberg

Die Rudolf Steiner-Schule in Nürnberg (RSSN) www.waldorfschule-nuernberg.de fragte bei einem kleinen Kreis von Büros eine Machbarkeitsstudie für den in die Jahre gekommenen Kindergarten an. Auf Grund des vermuteten hohen Sanierungsaufwands sollte auch die Realisierbarkeit eines kompletten Neubaus untersucht werden. Das Raumprogramm sollte gegenüber dem Bestand deutlich vergrößert werden. Insgesamt sollten fünf Kindergarten- Gruppen mit jeweils 25 Kindern, zwei Wiegestuben-Gruppen à 12 Kindern, eine Wiegestuben-Gruppe mit 6 Kindern und drei Hort-Gruppen mit je 25 Kindern einschließlich zusätzlicher Nebenräume untergebracht werden. Es blieb den beteiligten Planern freigestellt, ob sich diese Anforderungen durch eine Sanierung und Erweiterung der bestehenden Einrichtung oder durch einen Neubau erfüllen ließen. Insbesondere in der Gestaltung der Außenanlagen war die Anbindung der umliegenden Schulgebäude zu berücksichtigen.

Nach einem Rundgang durch das dreigeschossige Gebäude gelangten wir nach Abwägen der Vor- und Nachteile eines Abrisses und eines Neubaus zur Überzeugung, dass der Abbruch der Bausubstanz weitgehend zu vermeiden sei, um die „graue Energie“ noch intakter Bauteile zu schonen. Diese der Nachhaltigkeit verpflichtete Haltung sollte sich gerade in einem Haus für Kinder manifestieren, deren Zukunft maßgeblich vom Umgang mit unserer jetzigen Umwelt geprägt sein wird. Auch das ohnehin stark begrenzte Umfeld sollte möglichst geschont werden, um Flächenressourcen zu sparen. Demnach war ein Neubau für uns nur die zweite Wahl.

Schwarzplan Schulanlage mit Kindergarten

Da sich die bestehende fächerförmige Struktur des Bauwerks zudem städtebaulich gut in den ringförmigen Gesamtkomplex einordnet, war nach unserer Ansicht auch die Aufstockung des Bestands unter Berücksichtigung der Höhe der umgebenden Schulgebäude gut vertretbar. Der Bestand gibt die Haltung vor. Die tragenden Wände der vorgefundenen Bausubstanz werden als Anregung und nicht als Hemmnis empfunden und sollen später auch von den Kindern (nachvollziehbar) verstanden werden können. Alt und Neu verbinden sich zu einer „Geschichte“ im Sinne von Dingen, die aufeinander geschichtet werden. Wie in einer gewachsenen Stadtstruktur sollen alte „Landmarken“ (Signets) des früheren Gebäudes wie die plastische Betontreppe und der dominierende Kamin erhalten werden und frühere Schüler und Pädagogen an ihre Zeit erinnern.

Nach dem Urbild der „Hängenden Gärten der Semiramis“ sollten die Geschosse – jeweils etwas hinter die darunter liegende Ebene rückspringend – aufeinander gestapelt werden. Dieses Ordnungsprinzip ist bereits im Bestand angelegt und ermöglicht zudem breite Terrassen, um die notwendigen Außenspielflächen unterzubringen.

Wie die Finger einer Hand greift das Gebäude ins Gelände und verklammert so innen und außen. Die fließenden Grenzen zwischen innen und außen sollen Pädagogen und Kindern schwellenlose Übergänge erleichtern.

Entwurfsskizzen

Die Waldorfpädagogik diente als Leitschnur des Entwurfs. Je kleiner die Kinder sind, desto mehr Geborgenheit sollen die Grundrisse vermitteln. So sind die Raumzonen für die Kleinkinder in der Krippe geschlossener als im Bereich des Kindergartens und des Horts. Die Gruppenräume der größeren Kinder weiten sich zu den Spielfluren auf. Schwellenlose Zwischenzonen wie die Garderoben bieten den Kindern Anreize, den „Horizont zu erweitern“: Intensivräume liegen nahe an den Gruppenräumen, jedoch jenseits des Spielflurs.

Visualisierungs-Modell für Sanierung und Aufstockung

Die konzentrische Bündelung der bestehenden Raumvolumina war überaus Platz sparend und bot deshalb ein sinnvolles Konzept, welches sich lohnte, weiter „gestrickt“ zu werden.

Radial-Systeme weisen zudem ein weiteres positives Merkmal auf: In ihrem Zentrum wird das „Leben unter einem Dach“ symbolisch erfahrbar gemacht.

Die Freianlagen im Rudolf-Steiner- Kinderhaus sollten vielfältige Betätigungsmöglichkeiten und naturnahe Spielangebote bieten. Einerseits ist jeder Gruppe eine kleine „private“  Spielterrasse zugeordnet: direkt am Haus und zum Teil überdacht. Andererseits soll im großen Garten Begegnung der Gruppen untereinander möglich werden. Hier sollen Rückzugs- und Aktivbereiche zoniert werden. Drei große Sandspielflächen, teilweise mit Spielhäuschen, liefern das Grundgerüst. Vorhandene Spielhäuser und Klettertürme werden in die Topographie des Spielgeländes integriert. Ein neuer Fluchttreppenturm soll gleichzeitig als Gartenzugang sowohl vom Obergeschoss als auch vom Erdgeschoss dienen, aber auch als bespielbare Skulptur zu nutzen sein. Die Mitnutzung des Schulgartens für einen kleinen Nutzgarten blieb weiterhin möglich; auch der Baumbestand ließ sich lückenlos ins Konzept integrieren. Eine barrierefreie Verbindung aus dem Keller des Gebäudes zum Garten ließ sich über einen vorgelagerten Erdkeller unter der Krippenterrasse mittels intelligenter Geländemodellierung erreichen.

Unter dem Motto „Das Schwere ist des Leichten Wurzel“ des chinesischen Philosophen Lao Tse soll sich das bestehende Gebäude, das sich terrassenförmig aus dem Hang entwickelt, bildhaft und nachvollziehbar für die Kinder vom Untergeschoss zum Dachgeschoss von einem Mauerwerksbau zu einem Holzbauwerk verjüngen. Eine Aufstockung in Holzbauweise bietet statische Vorteile, da sich die im Vergleich zum Massivbau geringeren Lasten einer Holzkonstruktion leichter abtragen lassen.